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Zusammenfassung Heft 15

 

Freiburger Bodenkundliche Abhandlungen

Schriftenreihe des

Institut für Bodenkunde und Waldernährungslehre
der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br.
Schriftleitung: F. Hädrich


Heft 15


Franz Lamparski

Der Einfluß der Regenwurmart Lumbricus badensis
auf Waldböden im Südschwarzwald


Freiburg im Breisgau 1985

ISSN 0344-2691


Zusammenfassung:

Im Bereich des Sudschwarzwaldes findet man häufig einen erstaunlich günstigen Streuabbau und die Humusform Mull. Dies gilt auch für Standorte, bei denen man wegen des kühlen und feuchten Klimas einen verzögerten Streuabbau und Rohhumus erwarten wurde.
Solche Mullvorkommen sind regelmäßig mit hohen Populationsdichten des Regenwurms Lumbricus badensis verknüpft. Diese Art ist ein Endemit des Sudschwarzwalds mit atlantischen Klimaansprüchen und einer hohen Toleranz gegen niedrige pH-Werte.
Als weitere biogeographisch interessante Lumbricus-Arten findet man im Untersuchungsgebiet Lumbricus polyphemus, Lumbricus moliboeus sowie Lumbricus friendi. Die atlantische Art Lumbricus friendi muß als Stammart von Lumbricus badensis angesehen werden. In der Weitenauer Vorbergzone und am Südrand des Schwarzwaldes kommen beide Arten gemeinsam vor, jedoch ohne Bastardbildung. Als Isolationsmechanismus genügt anscheinend der Größenunterschied: Lumbricus friendi wird im Untersuchungsgebiet maximal 4 g schwer, während Lumbricus badensis Gewichte von 25 g bis sogar 40 g erreicht.
Mit seinem Areal und den daraus ableitbaren Klimaansprüchen zeigt Lumbricus badensis noch eine große Ähnlichkeit zu Lumbricus friendi. So schließt sein Areal als Ganzes gesehen an das Areal von Lumbricus friendi an. Die atlantischen Klimaansprüche von Lumbricus badensis werden besonders in der Osthälfte und an der Ostgrenze seines Verbreitungsgebietes deutlich. Hier schränkt eine kontinentalere Klimatönung die weitere Ausbreitung ein.
Die Entstehung der Art Lumbricus badensis muß nach der Eiszeit erfolgt sein. Damals bestand am Rand des Areals von Lumbricus friendi infolge des Rheines die Möglichkeit, eine Gründerpopulation abzuspalten. Das Fußfassen einer Gründerpopulation dürfte ab Praeboreal/Boreal erfolgt sein. Separiert von der Stammart Lumbricus friendi war die Gründerpopulation wahrscheinlich im Atlantikum, als sich im Oberrheingebiet die unter trockenen Klimabedingungen rubefizierten Para-braunerden bildeten. Damals dürfte nicht nur der Rhein, sondern das gesamte Oberrheingebiet als Schranke gewirkt haben.
Mit seiner Lebensweise gehört Lumbricus badensis zu den tiefgrabenden Regenwürmern. Die Anlage der Wohnröhre im Laufe der Individualentwicklung zeigt einen Übergang von der epigäischen Lebensweise zur tiefgrabenden Lebensweise an und stutzt die These von Bouche, nach welcher sich die tiefgrabenden Formen aus epigäischen Formen entwickelt haben. In der ersten Vegetationsperiode nach dem Schlüpfen leben die Jungwürmer in horizontalen Röhren an der Bodenoberfläche. In der folgenden Vegetationsperiode legen die Jungtiere eine flache U-förmige Röhre im Oberboden an mit zwei Mündungen an der Bodenoberfläche. Kleine Seitenabzweigungen im Mündungsbereich leiten über zur V-förmigen Röhre der älteren Jungtiere, welche in ihren wesentlichen Elementen schon die Merkmale einer Wohnröhre von Adulttieren zeigt.
Die Wohnröhre eines adulten Lumbricus badensis reicht bis in 2,5 m Tiefe, Sie ist so angelegt, daß sie in ihrer Gesamt-erstreckung rechtwinklig zur Bodenoberfläche zieht. Im Detail verläuft die Röhre in schräg ansteigenden etwa geraden Abschnitten, welche an regelmäßig eingeschalteten Abbiegungen ihre Richtung wechseln. Der Abstand jener Knicke ist zur Größe der Tiere proportional. Dies bedeutet, daß im Laufe des individuelllen Größenwachstums mehrere Wohnröhren angelegt werden müssen. Die Knicke selbst dienen als Steig- und Liegehilfen.
Über ihre gesamte Länge ist der Durchmesser der Wohnröhre so groß, daß die Tiere in der Röhre wenden können. Zwischen 150 und 40 cm Bodentiefe werden zahlreiche kurze Seitenkammern angelegt. Sie dienen der Ablage von Kokons und zeigen, daß ein sehr weiter Bodenabschnitt für die Brutfürsorge genutzt wird.
In der Nähe der Bodenoberfläche, zwischen 25 und 15 cm Bodentiefe, spaltet die Wohnröhre in 5 bis 7 Äste auf, welche an
der Bodenoberfläche in einem Bereich von maximal 30 cm Durchmesser münden. Damit vergrößern die Tiere ihren Aktionsradius an der Bodenoberfläche, während ihr Hinterende im Schütze der Röhre bleiben kann.
Im Mündungsbereich der Ausfahrten wird die Bodenoberfläche von Lumbricus badensis in artspezifischer Weise gestaltet: Durch die Abgabe von Exkrementen und durch das Einziehen von Streu entsteht hier ein flach-trichterförmiger Bereich, der sich mit einem lockeren, gut belüfteten und nach oben offenen Komposthaufen vergleichen läßt. In diesem Komposthaufen fördert Lumbricus badensis die Zunahme und die Aktivität von Mikroorganismen. Mikroorganismen und die von ihnen vorzersetzte Streu dienen umgekehrt den Regenwürmern als Nahrung, so daß sie auf direktem Weg die Nutznießer dieser Förderung werden. Im einzelnen werden Mikroorganismen in diesem "externen Pansen" durch gleichmäßige Temperaturen, hohe Luftfeuchtigkeit und eine Erhöhung des pH-Wertes gefördert. Die Erhöhung des pH-Wertes erfolgt kurzfristig über die Ausscheidung von Ammoniak und Harnstoff, längerfristig über die Förderung der Polymerisation von Huminstoffen und durch den Nachschub von Silikatreserven zur Bodenoberfläche. Frische Regenwurmexkremente besitzen pH-Werte um 5, auch bei sehr alten Exkrementen hält sich der pH-Wert noch über 4. Dadurch treten in Rohhumusstandorten mit sporadischer Besiedlung von Lumbricus badensis horizontal pH-Differenzen von 2 Stufen auf. Die Abgabe von stickstoffhaltigen Verbindungen an der Bodenoberfläche  durch die Regenwürmer bedeutet gleichzeitig eine Düngung der Streu, welche den Aufbau einer hohen Mikroorganismenpopulation ermöglicht. Ähnlich wirkt der Kontakt zwischen Regenwurmexkrementen und Streu, da er den Austausch von Stoffen ermöglicht. So können Elemente, welche im humosen Mineralboden gespeichert sind zur Streu diffundieren, während organische Säuren in den Exkrementen abgepuffert werden.
Bei Fichtenstreu zeigt sich der besondere Streuabbau in der Bauoberfläche eines Lumbricus badensis dadurch,daß unter dem Einfluß der Regenwürmer das gesamte Nadelgewebe gleichmäßig
abgebaut wird. Ohne Regenwurmeinfluß erfolgt eine Abbauverzögerung. Zwar werden leicht abbaubare Gewebeteile rasch zersetzt, andere Gewebeteile reichern sich dagegen über längere Zeit im Bodenprofil an.
Insgesamt bewirkt Lumbricus badensis die Erhaltung der Humusform Mull. Er ist aber auch in der Lage schlechtere Humusformen wie Moder oder Rohumus in Mull umzuwandeln. Dies tritt dadurch ein, daß Lumbricus badensis seine Exkremente an der Bodenoberfläche ablegt und daß er die frische Streu konsumiert. So entstehen im obersten Zentimeter die Abbaubedingungen eines Mulls. Den so überdeckten F- und H-Lagen wird durch den vollständigen Abbau der Streu der Nachschub entzogen, sie können aber noch einige Zeit als reliktische Horizonte weiter bestehen.
Die Wirkung der Regenwürmer im Boden äußert sich.neben Einlagerung von humosem Mineralboden und der Erweiterung von Porenraum bei der Anlage der Wohnröhren ,in der Entstehung eines typischen Bodenprofils mit einem geringmächtigen Ah-Horizont und einem mächtigen AhBv-Übergangshorizont, wo Flecken von Ah-Material, in denen sich die biologische Aktivität konzentriert, in helleren Mineralboden eingelagert sind. Tiefer folgt ein Bv-Horizont, in dem dunkle Wurmröhren scharf gegen helleren Mineralboden abgegrenzt sind. Transportvorgänge an solchen Standorten konzentrieren sich zum einen auf einen oberflächennahen Bereich, wo die RegenwUrmer ältere, von Mikroorganismen zersetzte Exkremente aufnehmen und an der Bodenoberfläche ablegen. Geringere Mengen dagegen werden beim Bau der Wohnröhren zur Oberfläche gebracht. Sie werden durch die fast gleichhohe Transportleistung der Maulwürfe ergänzt, welche auf Standorten mit hoher Lumbricus badensis-Dichte einen starken Einfluß auf die Bodendynamik ausüben.
Der Einfluß von Lumbricus badensis auf die Standortsbedingungen beruht in erster Linie auf einer Überformung der Bodenoberfläche. Hier fördert er durch die Einmischung von Streu den Energieübertrag auf den Mineralboden, und durch den Streuabbau das Recycling von Nährelementen. Eine dauernde Zufuhr von mineralisch gebundenen Nährstoffen zur Bodenoberfläche beruht auf dem Bau der Wohnröhren, wodurch ein Bereich von der Streulage bis in 2,5 m Tiefe für den Biokreislauf erschlossen wird.